Gesellschaftliche Bedrohungslage für Frauen
Frauen vor Gewalt zu schützen, muss oberste Priorität staatlichen Handelns sein und im Rahmen der öffentlichen Daseinsfürsorge der Länder und Kommunen erfolgen. Viel zu oft erlebt man, dass Frauen und Mädchen in ihren Sorgen und Nöten nicht ernst genommen werden und das Thema „Häusliche Gewalt“ als Privatangelegenheit abgestempelt wird.
Nach der aktuellen kriminalstatistischen Auswertung des Bundeskriminalamtes wurden im Jahr 2019 in Deutschland knapp 115.000 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt. Die Palette der Straftaten reicht von vorsätzlicher, einfacher Körperverletzung (69.012 Fälle), gefährliche Körperverletzung (11.991 Fälle) über Bedrohung, Stalking, Nötigung (28.906 Fälle) und Freiheitsberaubung (1.514 Fälle) bis hin zu Mord und Totschlag (301 Fälle) (vgl. BMFSFJ, 2020). Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen.
Dass die Corona-Pandemie die Lage von Frauen verschärft hat, liegt auf der Hand. Schon in einer 2014 von der europäischen Grundrechteagentur publizierten Studie „Gewalt gegen Frauen. Eine EU-weite Erhebung“ gab jede dritte Frau an, mindestens einmal körperliche und/oder sexuelle Gewalt seit ihrem 16. Lebensjahr erlebt zu haben (vgl. BMFSFJ, 2020).
Auch in Brandenburg hat die Pandemie zu einer Zunahme häuslicher Gewalt geführt. Das geht aus der polizeilichen Kriminalstatistik für 2020 hervor. Demnach stieg die Zahl der Fälle von 4371 im Jahr 2019 auf 5235 im Jahr 2020. Das entspricht einem Anstieg von fast 20%. Rund 76% der Tatverdächtigen waren männlich (vgl. dazu auch Tagesspiegel, 08.03.2021).
Situation der Frauenhäuser im Land und deren Finanzierung
Im gesamten Land gibt es 21 Schutzeinrichtungen, in denen 2018 540 Frauen und 690 Kinder Schutz in akuten Bedrohungslagen fanden. Frauenschutzeinrichtungen verstehen sich als ein Ort des Schutzes und der Krisenintervention. Gerade in strukturärmeren Gebieten Brandenburgs nehmen Frauenhäuser neben Schutzaufgaben die Rolle von Kompetenzzentren für Gewaltschutz ein.
Die Auslastung der Frauenhäuser nach der Anzahl der belegten Betten zu benennen, ist kein geeignetes Kriterium. Da es nicht sinnvoll ist, mehrere Frauen – mit unterschiedlich vielen Kindern – in einem Zimmer unterzubringen, können im Zweifel alle Zimmer belegt sein, obwohl noch Betten frei sind. In solchen Fällen wird zwar versucht, Frauen in andere Häuser zu vermitteln, doch oft ist es den Frauen aus persönlichen Gründen nicht möglich, die Stadt oder den Landkreis zu wechseln. Frauen, die sich an die Schutzeinrichtungen wenden, kommen i.d.R. spontan und können nicht warten, bis wieder ein Zimmer frei ist. Nach Empfehlungen der Istanbul-Konvention (Deutsches Institut für Menschenrechte) sollte pro 10.000 Einwohner*innen ein Frauenhausplatz für eine Frau mit Kindern bereitstehen. In Brandenburg kommt – mit Jahresende 2015 – jedoch nur ein Frauenhauszimmer auf über 19.000 Einwohner*innen. Derzeit finanzieren sich Brandenburgische Frauenhäuser aus Landesmitteln, kommunalen Zuwendungen sowie aus differierenden Tagessätzen der von (häuslicher) Gewalt betroffenen Frauen. Das Land unterstützt nicht die Frauenschutzeinrichtigungen oder Träger*innen, sondern finanziert die Landkreise bzw. kreisfreien Städte mit einer Zuweisung für Frauenschutzangebote. Die für die Unterstützung der Hilfeangebote für Frauenschutzprogramme vorgesehenen Landesmittel gehen den Landkreisen bzw. kreisfreien Städten direkt zu. Die Zuwendung des Landes beträgt derzeit 62.500 Euro pro Landkreis bzw. kreisfreier Stadt (Stand: 2018). Eine kommunale Kofinanzierung ist Voraussetzung für diese Zuwendungen. Die Mittel werden durch die Landkreise und kreisfreien Städte an die Träger*innen der Frauenhäuser in Brandenburg weitergeleitet. Letztempfänger*innen sind dabei gemeinnützige oder rechtsfähige Vereine oder eine gGmbH. Die Kommunen prüfen die Verwendung der Landesmittel, die für Personal- und Sachkosten der Hilfsangebote zu verwenden sind. Das Land fördert nicht die einzelnen Personalkosten der Mitarbeiterinnen. Die Träger*innen der Einrichtungen rechnen gegenüber den Kreisen ab. Die Zuwendung durch die Kommunen ist keinen einheitlichen Vorgaben unterlegen, sie zahlen unterschiedlich hohe Beträge auf freiwilliger Basis. Zusätzlich entrichten Bewohnerinnen sog. Nutzungsentgelte, die zwar in die Grundfinanzierung der Frauenhäuser einfließen, jedoch keine zuverlässigen Einnahmequellen sind. Die Existenz vieler Frauenschutzeinrichtungen hängt von Spenden oder anderen Vergünstigungen ab, z.B. Mieterlass durch die Kommune. Die Finanzierung muss in jedem kommunalen Haushaltsjahr neu verhandelt werden, was die Arbeit der Mitarbeiterinnen in ein enges zeitliches Korsett zwingt.
Die Probleme im Zusammenhang mit der Finanzierung
Frauen, die Opfer von (häuslicher) Gewalt werden, können sich oft nicht mehr ausgiebig über Hilfsangebote und Maßnahmen zum Schutz informieren. Eine offensive Informationskampagne und eine präzise Öffentlichkeitsarbeit sind unerlässlich. Da viele Frauenhäuser finanziell an einzelfallbezogenen Tagessätzen sowie freiwilligen Zuweisungen der Landkreise bzw. Kommunen hängen, ist Planungssicherheit oft nicht gegeben. Diese ist jedoch für eine kontinuierliche Gewaltschutzarbeit (präventive Angebote, Beratungen, ambulante Fachberatungen, Kinderbetreuung, Vernetzungsarbeit, Unterstützung bei Strafverfahren / Prozessbegleitungen, Akquise/Antragswesen oder Bereitschaftsdienste) unabdingbar. Die finanzielle Sicherheit von Frauenhäusern darf nicht von der Zahlungsbereitschaft oder -fähigkeit der Kommunen abhängen. Dieses Finanzierungskonzept schafft keinerlei langfristige Planungssicherheit und beschäftigt die Mitarbeiterinnen zusätzlich mit der Akquise weiterer Fördermittel.
Die Entrichtung sog. Nutzungsentgelte ist problematisch, da sie Frauen abschreckt, trotz problematischer Krisensituation, Hilfe aufzusuchen, da sie Angst vor etwaigen finanziellen Folgebelastungen haben.
Die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser hat für die Finanzierung von Frauenhäusern ein Drei-Säulen-Modell aufgestellt. Die Kosten eines Frauenhauses bestehen aus einem Grundbetrag für einzelfallunabhängige Aufgaben, einer Platzkostenpauschale sowie den Gebäudekosten. Dieses Modell richtet sich nach der Anzahl der benötigten Stellen, nach der Aufnahmekapazität des Frauenhauses sowie der tatsächlichen Höhe der Gebäudekosten und ist unabhängig von der Bettenauslastung. Im Flächenland Brandenburg, in dem Frauenhäuser ein weitaus differenziertes Aufgabenspektrum abbilden müssen, ist eine reine Tagesfinanzierung nicht geeignet, die tatsächlichen Bedarfe abzudecken.
Was wir fordern
1. Abschaffung der Kofinanzierung
2. Sicherstellung der flächendeckenden Betreibung von Schutzeinrichtungen
- festes Finanzierungsprogramm – direkte Finanzierung aus Landesmitteln
- alternativ: Landesförderung für die Kommunen mit klarer Zweckbindung und klaren Aufgaben für die Finanzierung der Einrichtungen, die eine kontinuierliche Arbeit durch sichere Finanzierung sowie eine Quote entsprechend der Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) sicherstellen
3. Förderung der Beratungs- und Informationsangebote
4. vollständige Abschaffung der Nutzerinnenentgelte
5. Barrierefreiheit für alle Frauenhäuser
6. Übersetzungsangebote in Frauenhäusern
7. Stellen für Kinderbetreuung