I. Die Bedeutung des Justizbereichs und seine Rezeption in der öffentlichen und politischen Wahrnehmung
Der Justizbereich steht in der Regel nicht besonders im öffentlichen Interesse. Ins Interesse rückt er allerdings dann, wenn etwas „schief geht“. Ähnlich – so scheint es manchmal – steht es leider auch um das politische Interesse am Justizbereich. Der Koalitionsvertrag zwischen SPD und DIE LINKE im Landtag Brandenburg für die 6. Legislaturperiode (2014-2019) beispielsweise sieht die Schaffung von Einstellungskorridoren vor.
Dennoch: Die Justiz ist die „Dritte Gewalt“. Sie ist von herausragender Bedeutung für den Rechtsstaat und damit für die Demokratie. Und sie ist oft von unschätzbarer persönlicher Bedeutung für jene, die sich an sie wenden oder ihr anvertraut werden.
Wer sich die Aufgaben der Justiz verdeutlicht, muss anerkennen, dass die Justiz zur Erfüllung Ihrer Aufgaben zumindest hinreichend sachlich und personell ausgestattet werden muss. Was nicht heißt, dass nicht auch die Justiz mit Ihren Ressourcen sparsam umgehen soll.
II. Aktuelle Probleme Justiz im Land Brandenburg im Bereich Personal
Dieses Konzept soll die Möglichkeit einer langfristigen Personalgewinnung und -entwicklung in dem Blick nehmen. Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen in der SPD Brandenburg (ASJ Brandenburg) sieht in einer langfristigen Personalentwicklung den Schlüssel für eine effektive, schnelle und qualitativ hochwertige Justiz. Dabei steht die Justiz im Land Brandenburg derzeit vor erheblichen Herausforderungen:
Die Verwaltungsgerichte haben Berge an Asylverfahren zu bewältigen. Gleiches gilt im Wesentlichen auch für die anderen Gerichtszweige. Die Aufstockung der Polizei führt auch bei den Staatsanwaltschaften zu höheren Verfahrenszahlen. Wirtschaftsstrafsachen werden immer komplexer und binden enorme Kapazitäten. Werden sie „verschleppt“ führt dies aber in der Bevölkerung schnell zu dem Gefühl, dass die „Großen ohnehin immer davonkommen“. In der Sozialgerichtsbarkeit besteht zudem trotz höchster Arbeitsbelastung ein Stau bei der Besetzung von Beförderungsstellen, obwohl diese bereits teilweise seit 2012 ausgeschrieben wurden bzw. ausschreibungsfähig sind. Nicht zuletzt deshalb steigt auch in Brandenburg die Unzufriedenheit unter den Beschäftigten und die Krankenstände.
Hinzu kommt, dass das Personal, das die Justiz des Landes Brandenburg nach der Wende mit gestaltet und geprägt hat, in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen wird. Damit einher geht, dass das Wissen dieser erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitergegeben werden muss, damit die Nachfolgenden davon profitieren können. Das macht Übergänge notwendig.
Gleichzeitig erkennen zahlreiche Bundesländer und der Bund die Defizite in der Justiz und steuern mit der teilweise erheblichen Einstellung von Juristinnen und Juristen gegen. Damit wird auch Brandenburg sich dem Wettbewerb auf einem begrenzten Markt stellen müssen.
Dabei muss Brandenburg, anders als beispielsweise Berlin, auch die Fläche mit einer wahrnehmbaren Justizpräsenz versorgen. Dieses Problem stellt sich im Übrigen nicht nur im richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Dienst. Auch im Bereich der sonstigen Dienste wird es in Zukunft erforderlich werden, ausreichend Personal an allen Standorten zu gewinnen und auch auf Dauer zu halten. Denn ohne die vielen fleißigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die an den unterschiedlichsten Stellen der Justiz – sei es als Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger, als Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher, als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den Geschäftsstellen, in den Kanzleien und im Wachtmeisterdienst – können die Gerichte und Staatsanwaltschaften ihren Aufgaben nicht nachkommen.
Zudem werden auch in Zukunft auf Landesebene, im Bund und in internationalen Organisationen (Spitzen-) Positionen zu besetzen sein. Die Besetzung dieser Positionen mit qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der Brandenburgischen Justiz setzt aber voraus, dass potentiellen Bewerberinnen und Bewerbern frühzeitig die Gelegenheit eingeräumt wird, sich das für derartige Positionen erforderliche Fachwissen anzueignen. Hierfür erscheint – neben den Abordnungen im Land an die Obergerichte, die Generalstaatsanwaltschaft oder die Ministerien – die Schaffung zusätzlicher Möglichkeiten, derartige Erfahrungen an den Bundesgerichten, der Bundesanwaltschaft, den Bundesministerien oder in Europäischen oder internationalen Organisationen zu sammeln, unabdingbar.
III. Lösungsansätze – von den Chancen einer weitsichtigen Personalpolitik für die Justiz
Ziel des vorliegenden Konzeptes ist es, sich den genannten Herausforderungen kurz-, mittel- und langfristig zu stellen. Es soll dabei skizzieren, wie die Ziele …
- ausreichende Gewinnung von qualifiziertem Personal auch in den Regionen,
- Abbau von Verfahrensaltlasten ohne Aufbau von dauerhaften Personalüberhängen,
- eine geordnete Wissensübergabe von ausscheidenden auf nachrückende Juristen,
- effektive Nachwuchsförderung und -qualifizierung (evtl. auch länderübergreifend),
- verstärkte Ausbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im nichtrichterlichen und nichtstaatsanwaltschaftlichen Dienst, die möglichst dezentral erfolgt, damit an den Standorten Personal gewonnen werden kann, dass sich mit der Region identifiziert und in dieser bleiben möchte,
- Abschaffung befristeter Arbeitsverträge und Übergang in Dauerbeschäftigungsverhältnisse im nichtrichterlichen und nichtstaatsanwaltschaftlichen Dienst, denn nur so kann qualifiziertes Personal nachhaltig gewonnen und gehalten werden
erreicht werden können. Die ASJ Brandenburg schlägt daher folgende zeitlich aufeinanderfolgende Maßnahmen vor:
1. Sofortmaßnahmen:
- Die mittelfristige Personalbedarfsplanung für den Geschäftsbereich der Justiz ist (unter Berücksichtigung von Abordnungen, etc.) so auszugestalten, dass die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Einstellungskorridore besetzt werden können. Dies bedeutet zumindest für mehrerer Jahre eine Stellenbesetzung über dem (nach Pebb§y ermittelten) Personalbedarf.
- Im Richtergesetz soll die Ermöglichung der Verlängerung der Arbeitszeit über die Ruhestandsgrenze hinaus geprüft werden.
- Richterinnen und Richter können aus guten Gründen – zur Sicherung ihrer richterlichen Unabhängigkeit – nur unter engsten Voraussetzungen versetzt werden. Bei Änderungen im Geschäftsanfall – etwa weil in einer Gerichtsbarkeit die Eingangszahlen zurückgehen – führt dies dazu, dass die so entlasteten Richter in anderen Gerichtsbarkeiten nicht aushelfen können. Unter Beachtung der richterlichen Unabhängigkeit soll daher in engen Voraussetzungen die Möglichkeit geschaffen werden, Richterinnen und Richter zum zeitlich beschränkten Ausgleich von Belastungsspitzen in andere Gerichte oder in einen anderen Gerichtszweig zu versetzen.
- Wir begrüßen ausdrücklich die Absicht der Landesregierung durch Änderung von § 1 Abs 1 Nr 1 ZuSozV die vier Sozialgerichte in Brandenburg zukünftig als Präsidialgerichte auszugestalten, womit auch wir eine deutliche Qualitätsverbesserung für die Bürgerinnen und Bürger in den Regionen verbinden.
3. Langfristige Ziele (bis zum Ende der 7. Legislatur 2024):
- Transparenz hinsichtlich der Stellen und Stellenanteile, Besetzungen und Abordnungen etc. seitens des Ministeriums der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburgs (MdJEV) im Rahmen der datenschutzrechtlichen Gesetze
- Aufbau einer gezielten Nachwuchsförderung
- Berücksichtigung von Diensten in der Brandenburgischen Peripherie als hartes Kriterium bei Beförderungen
- Zügige Nachbesetzung der frei werdenden Stellen. Hierfür ist auch ein effektives Nachbesetzungsmanagement einzuführen.
3. Mittelfristige Anpassungen (Vereinbarung im Koalitionsvertrag und Umsetzung nach der Landtagswahl 2019):
- Abarbeitung der Altverfahren
- Führender Platz bei der Verfahrenslaufzeit im Bundesvergleich
Zur Umsetzung der in diesem Konzept genannten Ziele spricht Seitens der ASJ Brandenburg einiges dafür, nach der Landtagswahl 2019 die Besetzung der Finanz- und Justizressorts durch die SPD anzustreben.
Weiche Faktoren:
- Planbarkeit der Personalentscheidungen
- Personal muss langfristig gebunden werden
- Verbesserung des Betriebsklimas
- Die Einführung von Betriebskindergärten und -kitas wird geprüft
- Das betriebliche Gesundheitsmanagement wird weiter gestärkt
Harte Faktoren:
- Gehalt: Solange es weiterhin auf Bundesebene keine – anstrebenswerte – einheitliche Richterbesoldung gibt, sollte Brandenburg bestehende Nachteile durch eine gegenüber den Nachbarländern höhere Besoldung ausgleichen
- Probleme bei der Juristengewinnung (Alle Bundesländer stellen ein – der Markt wird „leergekauft“)
- Nutzung der Möglichkeit der Versetzung oder Suche nach kreativen Lösungen
- Chancen der Digitalisierung
- Abordnungen (u.a. in die Bundesverwaltung, an die Bundesgerichte, die Bundesanwaltschaft, oder in Europäische oder internationale Organisationen oder ins MdJEV) sollten zur Personalentwicklung genutzt und nicht vermieden werden, um das Personal zusammenzuhalten. Für abgeordnete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist an den jeweiligen Standorten Ersatz zur Verfügung zu stellen.
- Personalbedarf wird nach PEBB§Y nach dem Vorjahresbedarf berechnet, auch wenn die Bedarfe sich zwischenzeitlich nachhaltig und nachweislich verändert haben. Das ist zu unflexibel
- PEBB§Y Personalzahl berechnet nur Mindestbedarf. Wenn einer fehlt wird’s eng.
- Zügige Nachbesetzung von Personalstellen
Ungewöhnliche Wege gehen:
Die Justiz kann für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen Diensten dadurch attraktiver werden, dass sie Lösungen für die Alltagsprobleme ihres Personals bereitstellt. Denkbar wären insofern Kinderbetreuungseinrichtungen (etwa in den Gerichtszentren), die Unterstützung bei der Wohnungssuche, dem Verkehrsmittel o.ä. – kurz: die Justiz muss als Arbeitgeber attraktiver sein, als die Mitbewerber auf dem Arbeitsmarkt (und dies gilt nicht nur für Richterinnen und Richter/Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sondern im besonderen Maße auch für das Personal mit geringerem Einkommen).
Seitens des Ministeriums der Justiz, für Europa und Verbraucherschutz bedarf es kreativerer Lösungen bei der Bewirtschaftung des Stellenplans für die dem Haus nachgeordneten Behörden.