72/I/2022 Die Irrfahrt vor dem Crash beenden – Schuldenbremse überdenken

Status:
Annahme mit Änderungen

Sowohl die Corona-Krise als auch das vergangene Jahr haben gezeigt, wie wichtig es ist, dass Bund und die Länder finanzpolitisch handlungsfähig sind. Diese Handlungsfähigkeit gilt es zukünftig zu bewahren und gleichzeitig den Parlamenten das volle Budgetrecht über die jährlichen Ausgaben einzuräumen. Wir erkennen an, dass die Deckelung von Neuverschuldung in Form der Schuldenbremse oder der europäischen Maastricht-Kriterien im Grundsatz falsch und dysfunktional ist. Sie gehören deshalb abgeschafft. Wenn Sparen zum Selbstzweck wird, stranguliert dies die ökonomische und politische Handlungsfähigkeit eines Staates und untergräbt so seine wirtschaftlich nachhaltige Entwicklung. Kurzfristig fordern wir die Verlängerung der vorübergehenden Aussetzung der Schuldenbremse über das Jahr 2022 hinaus. Davon unberührt bleibt das langfristige Ziel, die Art. 109, 115 GG zu streichen. Die sozialdemokratische Fraktion im Bundestag sowie die brandenburgischen SPD-Abgeordneten und Mitglieder im Parteivorstand sollen sich zum nächstmöglichen Zeitpunkt für dessen ersatzlose Streichung einsetzten. Ferner fordern wir die Streichung der Regelungen in Art. 103 der Brandenburgischen Landesverfassung, welche ebenfalls in einer vergleichbaren Form die Deckelung öffentlicher Ausgaben vorsehen. Die sozialdemokratische Fraktion im brandenburgischen Landtag soll sich um die entsprechenden Streichungen bemühen.

Begründung:

Öffentliche Investitionen sind die Grundlage für den Weg in ein ökologisch nachhaltig produzierendes, digitales und sozial gerechtes Zeitalter. Als SPD fordern wir Investitionen in Daseinsvorsorge, in ein ausgebautes Mobilitätssystem, stabile Energienetzwerke bestehend aus erneuerbaren Quellen sowie moderne, lückenlose Breitbandverkabelung. Diese überfälligen, aber erheblichen Ziele sind nur mittels voluminöser öffentlicher Investitionen zu erreichen. Im Jahr 2009 implementierte der Gesetzgeber eine Deckelung dieser öffentlichen Investitionen im Grundgesetz – die sogenannte Schuldenbremse. Der Artikel 109 Abs. 3 GG legt ein grundsätzliches Verbot von struktureller Neuverschuldung für die Länder und ein maximales Neuverschuldungsniveau von 0,35 Prozent für den Bund fest. Die länderspezifische Ausgestaltung der Schuldenbremse ist laut Art. 109 Abs. 3 GG von den Ländern im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen individuell in der Landesverfassung oder im Haushaltsrecht festzusetzen. Ausnahmen von der Schuldenbremse sind nur bei außergewöhnlichen Ereignissen wie schweren Naturkatastrophen oder Wirtschaftskrisen vorgesehen.

Als Reaktion auf die Corona-Krise wurde die Schuldenbremse vorläufig ausgesetzt. Erst das ermöglichte sowohl die Krisenmaßen der Bundesrepublik als Reaktion auf die Pandemie als auch die bisherigen sozialen Ausgleichsmaßnahmen aufgrund der gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise.

Die Schuldenbremse als undemokratische Investitionsbremse

Ausgehend von einem fehlgeleiteten Verständnis von Generationengerechtigkeit und dem Sparen als Selbstzweck verankerte der Gesetzgeber mit der Schuldenbremse einen Mechanismus, der seine eigene Handlungsfähigkeit insbesondere in den Bereichen öffentlicher Investitionen in Daseinsvorsorge, sozialpolitischen Instrumenten sowie aktiver und gestaltender Wirtschaftspolitik nachhaltig beschränkt. Das Haushaltsrecht ist die entscheidende Kompetenz des Parlaments. In Zeiten, in denen entscheidende Zukunftsaufgaben gelöst werden müssen, bedeutet eine solche Deckelung die Beraubung politischen Handlungsspielraums für progressive Akteure und Parteien, die den Anspruch haben, für kommende Generationen das Versprechen auf eine bessere Zukunft einzulösen.

Die Klimaschutzbremse

Die Bedingung für das Gelingen der sozial-ökologischen Transformation von Wirtschaft und Industrie ist ein handlungsfähiger und starker Staat. Generationengerechte Politik bedeutet effektiv, die Voraussetzungen für das Lösen von überfälligen Transformationsaufgaben wie beispielsweise dem Ausstieg aus der Kohleverstromung sowie dem Ende von Verbrennungstechnologien im Automobilsektor zu schaffen. Junge Menschen demonstrieren auf den Straßen nicht für schwarze Zahlen, sondern für den Erhalt einer lebenswerten Zukunft und für das Ernstnehmen der Klimakrise. Die Weigerung konservativer politischer Verantwortungsträger*innen, die notwendigen finanziellen Mittel dafür in die Hand zu nehmen, überlässt der Privatwirtschaft, die Bekämpfung dieser existenziellen Krise und stellt damit ein Scheitern sicher.

Die Krisenuntauglichkeit der Schuldenbremse

Im Zuge der Corona Pandemie hat der Bund etwa 130 Milliarden neue Schulden aufgenommen. Zur Bewältigung der Krise genutzte Neuaufnahmen sind so weit mit der Schuldenbremse vereinbar. Doch schon während der Krise wurde vonseiten der Union angekündigt, diese erhöhten Ausgaben zukünftig mit noch strengerer Haushaltsdisziplin und damit mit der Streichung von Zukunftsinvestitionen oder sozialpolitischen Ausgaben auszugleichen. Gleiches wurde in Verbindung mit den Entlastungspaketen im Laufe dieses Jahres gefordert. Ab 2023 werden sich die öffentlichen Haushalte zudem wieder an den Maßgaben von Art. 109 und 115 GG messen lassen müssen. Zusätzlicher Druck entsteht dadurch, dass sowohl das Sondervermögen für Klima und Transformation als auch das für die Bundeswehr Sondertilgungen nach sich ziehen werden, die künftige Haushalte besonders belasten.

Die Schuldenbremse in seiner aktuellen Form wirkt entgegen antizyklischer Finanzpolitik, da sie erst im Abschwung bzw. krisenartigen Situationen den haushaltspolitischen Raum für die Stabilisierung des Konjunkturzyklus‘ eröffnet. Weiterhin fehlen bis heute Belege (national und international), dass Fiskalregelung zur Deckelung der Neuverschuldung Schuldenquoten tatsächlich verringern. Prozyklische Finanzpolitik kann durch negative Effekte auf Steuereinnahmen, Arbeitslosigkeit und das Bruttoinlandprodukt Volkswirtschaften sogar zusätzlich destabilisieren.

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme (Kein Konsens)
Version der Antragskommission:

Der Antrag stellt neben der Schuldenbremse auch die Maastricht-Kriterien in Abrede. In Bezug auf die Schuldenbremse erscheint der Antrag zu absolut.

Barrierefreies PDF:
Änderungsanträge
Status Kürzel Aktion Zeile AntragstellerInnen Text PDF
Nicht abgestimmt Ä1 zum 72/I/2022 Ändern 1-29 Jusos Änderung Titel in: „Die Irrfahrt vor dem Crash beenden – Schuldenbremse überdenken?“ Neufassung des Antragstextes in folgender Form: „Wir erkennen an, dass die Deckelung von Neuverschuldung in Form der Schuldenbremse in ihrer aktuellen Form falsch und dysfunktional ist. Seit ihrer Einführung musste die Schuldenbremse immer wieder außer Kraft gesetzt werden. Die Notlagen-Regelung ist dafür kein adäquates Mittel, um die Fehler der bestehenden Regelungen auszugleichen. Die aktuellen Regelungen müssen daher einer grundlegenden und kritischen Evaluation unterzogen werden. Stellt sich danach heraus, dass die Schuldenbremse ein ungeeignetes Mittel ist, so sind die Konsequenzen daraus zu ziehen und die Schuldenbremse - in ihrer derzeit bestehenden Form, wenn nicht sogar vollständig - abzuschaffen. Wenn Sparen zum Selbstzweck wird, stranguliert dies die ökonomische und politische Handlungsfähigkeit eines Staates und untergräbt so seine wirtschaftlich nachhaltige Entwicklung. Kurzfristig fordern wir die Verlängerung der vorübergehenden Aussetzung der Schuldenbremse über das Jahr 2022 hinaus. Davon unberührt bleibt das langfristige Ziel, die Art. 109, 115 GG zu streichen. Die sozialdemokratische Fraktion im Bundestag sowie die brandenburgischen SPD-Abgeordneten und Mitglieder im Parteivorstand sollen sich zum nächstmöglichen Zeitpunkt für dessen Evaluation und etwaige Streichung einsetzten. Ferner sind auch die entsprechenden landesrechtlichen Regelungen des Art. 103 der Brandenburgischen Landesverfassung, welche ebenfalls in einer vergleichbaren Form die Deckelung öffentlicher Ausgaben vorsieht, auf Basis dieser kritischen Evaluation bei Bedarf umzugestalten, erforderlichenfalls zu streichen. Die sozialdemokratische Fraktion im brandenburgischen Landtag soll sich um die entsprechenden Streichungen bemühen.“ Änderungsantrag (PDF)
Annahme Ä2 zum 72/I/2022 Ändern 1-29 Jusos komplett neuer Antragstext: Sowohl die Corona-Krise, als auch das vergangene Jahr haben gezeigt, wie wichtig es ist, dass Bund und die Länder finanzpolitisch handlungsfähig sind. Diese Handlungsfähigkeit gilt es zukünftig zu bewahren und gleichzeitig den Parlamenten das volle Budgetrecht über die jährlichen Ausgaben einzuräumen.  Die Deckelung von Neuverschuldung in Form der Schuldenbremse in ihrer aktuellen Form ist dysfunktional. Seit ihrer Einführung musste wiederholt auf den grundgesetzlich verankerten Ausnahmetatbestand der außergewöhnlichen Notlage zurückgegriffen werden. Die Ausnahme ist in den letzten Jahren zur Regel geworden.  Die bestehenden Regelungen müssen einer grundlegenden und kritischen Evaluation unterzogen werden. Stellt sich danach heraus, dass die Schuldenbremse ein ungeeignetes Mittel ist, so sind die Konsequenzen daraus zu ziehen und eine Überarbeitung der Schuldenbremse durchzuführen, die für die Gewährleistung solider Staatsfinanzen in Ansehung europäischer Fiskalregeln steht. Wenn Sparen zum Selbstzweck wird, stranguliert dies die ökonomische und politische Handlungsfähigkeit eines Staates und untergräbt so seine wirtschaftlich nachhaltige Entwicklung. Kurzfristig fordern wir die Verlängerung der vorübergehenden Aussetzung der Schuldenbremse über das Jahr 2022 hinaus. Davon unberührt bleibt das langfristige Ziel, die Art. 109, 115 GG zu überarbeiten. Die sozialdemokratische Fraktion im Bundestag sowie die brandenburgischen SPD-Abgeordneten und Mitglieder im Parteivorstand sollen sich zum nächstmöglichen Zeitpunkt für dessen Evaluation und erforderlichenfalls Streichung einsetzen. Analog sind die entsprechenden landesrechtlichen Regelungen des Art. 103 der Brandenburgischen Landesverfassung sowie §§ 18, 18a und 18b der Landeshaushaltsordnung, welche ebenfalls in einer vergleichbaren Form die Deckelung öffentlicher Ausgaben vorsieht, auf Basis dieser kritischen Evaluation bei Bedarf umzugestalten. Die sozialdemokratische Fraktion im brandenburgischen Landtag soll sich um die entsprechenden Anpassungen bemühen. Änderungsantrag (PDF)
Text des Beschlusses:

Sowohl die Corona-Krise, als auch das vergangene Jahr haben gezeigt, wie wichtig es ist, dass Bund und die Länder finanzpolitisch handlungsfähig sind. Diese Handlungsfähigkeit gilt es zukünftig zu bewahren und gleichzeitig den Parlamenten das volle Budgetrecht über die jährlichen Ausgaben einzuräumen.  Die Deckelung von Neuverschuldung in Form der Schuldenbremse in ihrer aktuellen Form ist dysfunktional. Seit ihrer Einführung musste wiederholt auf den grundgesetzlich verankerten Ausnahmetatbestand der außergewöhnlichen Notlage zurückgegriffen werden. Die Ausnahme ist in den letzten Jahren zur Regel geworden.  Die bestehenden Regelungen müssen einer grundlegenden und kritischen Evaluation unterzogen werden. Stellt sich danach heraus, dass die Schuldenbremse ein ungeeignetes Mittel ist, so sind die Konsequenzen daraus zu ziehen und eine Überarbeitung der Schuldenbremse durchzuführen, die für die Gewährleistung solider Staatsfinanzen in Ansehung europäischer Fiskalregeln steht. Wenn Sparen zum Selbstzweck wird, stranguliert dies die ökonomische und politische Handlungsfähigkeit eines Staates und untergräbt so seine wirtschaftlich nachhaltige Entwicklung. Kurzfristig fordern wir die Verlängerung der vorübergehenden Aussetzung der Schuldenbremse über das Jahr 2022 hinaus. Davon unberührt bleibt das langfristige Ziel, die Art. 109, 115 GG zu überarbeiten. Die sozialdemokratische Fraktion im Bundestag sowie die brandenburgischen SPD-Abgeordneten und Mitglieder im Parteivorstand sollen sich zum nächstmöglichen Zeitpunkt für dessen Evaluation einsetzen. Analog sind die entsprechenden landesrechtlichen Regelungen des Art. 103 der Brandenburgischen Landesverfassung sowie §§ 18, 18a und 18b der Landeshaushaltsordnung, welche ebenfalls in einer vergleichbaren Form die Deckelung öffentlicher Ausgaben vorsieht, auf Basis dieser kritischen Evaluation bei Bedarf umzugestalten. Die sozialdemokratische Fraktion im brandenburgischen Landtag soll sich um die entsprechenden Anpassungen bemühen.

Beschluss-PDF:
Überweisungs-PDF: