Zur Stärkung der Solidargemeinschaft, des bürgerschaftlichen Engagements und nicht zuletzt der Demokratie braucht es keinen Zwang, sondern vielmehr Anreize und gerechte Bedingungen. Bundesweit engagieren sich jährlich tausende, hauptsächlich junge Menschen in Freiwilligendiensten wie dem FSJ, dem FÖJ oder dem BFD. Doch ihre Interessen finden kaum Gehör. Stattdessen wird eine Debatte über ein Pflichtjahr geführt, die sowohl an der Realität der Freiwilligen als auch an der der vielen Trägerorganisationen vorbei geht.
Wir fordern die SPD auf, sich gegen einen Pflichtdienst und stattdessen für eine Stärkung der Freiwilligendienste und eine tatsächliche Verbesserung der Situation der Freiwilligen auszusprechen und einzusetzen.
Dies beinhaltet:
Mehr Freiwilligendienststellen
Aktuell gibt es jährlich bei weitem mehr Bewerber*innen als Plätze für einen Freiwilligendienst. Dies zeigt, dass es nicht am Engagement der jungen Menschen fehlt, sondern an einem zufriedenstellenden Angebot und einer entsprechenden Ausstattung der Trägerorganisationen.
Wir fordern, dass ausreichend Freiwilligendienststellen geschaffen und finanziert werden, damit jede*r, der/die einen Freiwilligendienst absolvieren möchte, die Möglichkeit dazu hat. Die Knappheit der Plätze und die geringe finanzielle Ausstattung der Trägerorganisationen führt insbesondere dazu, dass vergleichsweise immer noch wenige Menschen aus bildungsferneren Schichten angesprochen werden und hauptsächlich Menschen mit höheren Schulabschlüssen einen Platz für einen Freiwilligendienst erhalten. Um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, braucht es also zuallererst genügend Dienststellen.
Auch Freiwillige haben eine Menschenwürde: Für eine gerechte Mindestaufwandsentschädigung
Es ist sehr undurchsichtig, was Freiwillige aktuell als Aufwandsentschädigung erhalten. Fakt ist aber, dass es vielfach nicht zum Leben ausreicht und die Ableistung eines Freiwilligendienstes deshalb oft nur möglich ist, wenn man weiterhin bei den Eltern wohnen kann oder anderweitig familiäre Unterstützung hat.
Eine stichprobenartige Untersuchung der Aufwandsentschädigungen offenbart sehr große Unterschiede je nach Träger und Bundesland (z.B. 300 € – 700 €). Die Unterschiede der Höhe der Aufwandsentschädigungen lassen sich in erster Linie nicht durch die unterschiedlichen Mittel, die den Trägern zur Verfügung stehen, den Unterschieden in den Tätigkeitsfeldern oder den Unterschieden bei den Lebenshaltungskosten in den unterschiedlichen Regionen Deutschlands erklären, Deshalb müssen diese bundesweit fairer und einheitlicher gestaltet werden.
Aktuell erhalten Freiwillige für jeden Monat eine Aufwandsentschädigung, welche das Taschengeld und Geldersatzleistungen für Unterkunft und Verpflegung beinhaltet. Eine Minderheit der Freiwilligen[1] erhält statt der Geldersatzleistung für Unterkunft eine Wohnung durch die Einsatzstelle gestellt. Für das Taschengeld gibt es dabei eine gesetzlich geregelte obere Grenze. Im JFDG und BFDG steht dazu: “Angemessen ist ein Taschengeld, wenn es 6 Prozent der in der allgemeinen Rentenversicherung geltenden Beitragsbemessungsgrenze nicht übersteigt.” Im Jahr 2022 liegt hierbei diese Grenze bei 423€[2]. Diese Grenze darf aber nicht mit der Grenze für die gesamten Aufwandsentschädigungen verwechselt werden, welche es gar nicht gibt, da keine maximale Höhe für die Geldersatzleistungen festgelegt ist. Die geringen Aufwandsentschädigungen der Träger*innen sind also nicht mit dieser maximalen Grenze des Taschengeldes zu erklären.
Schon in einem Evaluationsbericht der Bundesregierung[3] wurde die Empfehlung bezüglich der Rahmenbedingungen der Freiwilligendienste gestellt, dass Taschengelder angemessener und vergleichbarer gestaltet werden sollten. So heißt es: “Die Höhe des Taschengeldes sollte entsprechend der Regelung in § 2 Nr. 4 b BFDG innerhalb der gleichen Einrichtung, in vergleichbaren Einrichtungen sowie bei vergleichbaren Tätigkeiten unabhängig vom Freiwilligendienstformat gleich sein.”
Aus diesem Evaluationsbericht geht auch hervor, dass sich viele Träger*innen, Einsatzstellen und Freiwillige eine Erhöhung der Taschengelder wünschen[4]. Nach der Stichprobe scheint es allerdings, dass dies trotz der gestiegenen Lebenshaltungskosten immer noch nicht passiert ist.
Darum muss der Gesetzgeber aktiv werden und eine angemessene Mindestaufwandsentschädigung im Jugendfreiwilligendienstegesetz (JFDG) und im Bundesfreiwilligendienstgesetz (BFDG) festlegen. Als Mindestmaß könnte die Höhe der Grundsicherung (2022: 449€) die Höhe des BAFöG Höchstsatzes (2020/2021: 861€) oder die Höhe des Gehaltes des Freiwilligen Wehrdienstes (Einstiegsgehalt: 1400€) festgelegt werden. Sofern Familienangehörige des/der Freiwilligen ALGII oder zukünftig Bürger*innengeld beziehen, soll die Mindestaufwandsentschädigung nicht auf das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft angerechnet werden.
Außerdem fordern wir, dass Freiwillige vom Rundfunkbeitrag befreit werden.
Freiwillige arbeiten meist Vollzeit und auch wenn sie gesetzlich nicht als Beschäftigte gelten, haben sie eine Menschenwürde, die es zu schützen gilt. Deshalb ist es das Mindeste, dass die Aufwandsentschädigung der Höhe des Bürger*innengeldes entspricht und ihr Existenzminimum sichert. Die Zahlung einer Mindestaufwandsentschädigung kann außerdem dagegen vorbeugen, dass Freiwilligendienststellen geschaffen werden, um den Mindestlohn zu umgehen.
Ziel sollte es in jedem Fall sein, allen jungen Menschen einen Freiwilligendienst zu ermöglichen, egal wie deren finanzielle Situation aussieht und ob diese von ihren Familien unterstützt werden oder nicht. Die bisherigen Aufwandsentschädigungen reichen bei den gestiegenen Lebenshaltungskosten für viele junge Menschen nicht aus.
Freie Fahrt für Freiwillige: Freiwillige brauchen ein bezahlbares Ticket
Aktuell müssen Freiwillige einen Großteil ihres Taschengeldes in Fahrtkosten investieren.
Unabhängig von der Frage, ob es eine Nachfolge für das 9-€ Ticket geben wird, fordern wir, dass die Trägerorganisationen durch Bund und Land so ausgestattet werden, dass sie die Fahrtkosten, die den Freiwilligen durch ihre Fahrt zur Dienststelle entstehen, übernehmen.
Dies ändert nichts an unserer Forderung nach einem 365 € Ticket für alle Auszubildenden und Freiwilligen und langfristig nach einem fahrscheinlosen, beitragsfinanzierten ÖPNV für alle Menschen.
[1] siehe Seite 84 je nach Dienst 1-20% der Freiwilligen im Evaluationsbericht3
[2] https://www.jugendfreiwilligendienste.de/antworten-auf-haeufige-fragen.html
[3] Abschlussbericht der gemeinsamen Evaluation des Gesetzes über den Bundesfreiwilligendienst (BFDG) und des Gesetzes zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten (JFDG) von 2015
https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/abschlussbericht-der-gemeinsamen-evaluation-des-gesetzes-ueber-den-bundesfreiwilligendienst-bfdg-und-des-gesetzes-zur-foerderung-von-jugendfreiwilligendiensten-jfdg–96150
[4] siehe Seiten 259, 262, 264